Seit rund sechzig Jahren ist der Architekt und Produktgestalter Robert Haussmann in Zürich tätig, und sein 80. Geburtstag ist der Anlass, sein Werk – seit 1967 in der «Allgemeinen Entwurfsanstalt Zürich» mit seiner Frau Trix zusammen entstanden – unter die Lupe zu nehmen. Dessen Aktualität lässt sich anhand einiger Bauten ebenso wie an der von Trix und Robert Haussmann ab Mitte der Siebzigerjahre entwickelten praktischen Theorie der Lehrstücke untersuchen. Die Spur des Haussmann’schen Werks ist jedoch breiter und reicht von Tellern, Textilien, Möbeln über Innenausbau und Bauten bis zu Planungen, aber auch gezeichnet, geschrieben und unterrichtet wurde viel.
In Zürich sind noch einige sehenswerte Innenräume erhalten, die auch öffentlich zugänglich sind und einige der Schwerpunkte im Schaffen der Haussmanns aufzeigen. Zuerst der Zürcher Bar-Klassiker, die Kronenhalle-Bar: 1965 von Robert Haussmann entworfen und noch heute fast original erhalten. Sie zeigt Haussmann als klassischen Designer und Architekten, die Bar hat viele Elemente eines englischen Clubs. Gut nachvollziehbar ist hier Hausmanns Bewunderung für Loos, die perfekte Verarbeitung, die Bar als ein intimer Treffpunkt mit zeitloser Einrichtung und speziellen Details wie den Lampen der Gebrüder Giacometti oder der raumbildenden Decke aus verdrehten Mahagoni-Latten. Etwas exaltierter ist der Herrenausstatter Weinberg an der Bahnhofstrasse 1980 gebaut. Neben der gewohnten Eleganz und einer gekonnten Umsetzung in langlebigen Materialien gibt es hier irritierende Momente: Beim Eingang weisen Fragmente eines steinernen Säulenportals (aus täuschend echt bemaltem Holz) den Weg zum eigentlichen Kundenbereich des Ladens. Dieser ist von verspiegelten Stützen dominiert, die umfasst werden mit Holz-Steinfragmenten, die Stücke eines kannelierten Säulenschaftes darstellen und gleichzeitig der Auslage dienen. Der Innenraum ist als beschleunigte Perspektive angelegt, dessen Wände und die schräge Decke konisch zusammenlaufen.
Versteckt im Zwischengeschoss über dem Buffet da Capo im Hauptbahnhof befindet sich die Da Capo Bar (1981 mit Stephan Zwicky entworfen), deren Wände und Decke rundum mit einem aufgemalten Bossenmauerwerk – von der Aussenseite des Bahnhofs abgenommen – überzogen sind und so auf das Alter des Bahnhofs anspielen und doch klarmachen, dass der Innenraum neu gestaltet ist. Die Bar, eine Art Raum im Raum, enthält viele ironische Anspielungen: anstelle gemalter Schlusssteine über den Bögen ist Spiegelglas eingesetzt, am Ende des schlauchartigen Raums ersetzt ein Regal die Steinquader, auf einem gemalten Quader steht für denjenigen, der es sieht «Errare humanum est» (was sich natürlich auf die Architektur bezieht). Der S-Bahnhof Museumsstrasse (1991) ist das grösste und öffentlichste Bauwerk der Haussmanns in Zürich. Im Moment wird der Hauptbahnhof wieder umgebaut und erweitert, gewisse charakteristische Merkmale und Materialien sind noch gut erhalten: Böden und Wände aus schwarzem und weissem Marmor und Granit, teilweise mit Ornamenten versehen und Streifen als einfachstes Ornament allgegenwärtig.
Handwerk als Grundlage für Design
Die umfassende Kenntnis der Handwerkskunst und ein Gespür für Qualität hat Robert Haussmann von klein auf mitbekommen, ist er doch im Tapezier- und Polsteratelier seines Vaters aufgewachsen und hat die kunst- und fachgerechte Bearbeitung von Stoff, Polster, Leder oder Holz gesehen. Dies erklärt zum Teil, weshalb er schon mit 23 Jahren einen derart klassischen Sessel wie «Hommage à Mies van der Rohe» entwerfen konnte, der eine Neuinterpretation des damals in Europa nicht erhältlichen Barcelona Chair darstellt. Nebenbei löste Haussmann die konstruktive Fragestellung des Mies-Klassikers neu, indem er das Stahlgestell nicht als Kreuz erscheinen lässt, sondern aus zwei verschraubten Stücken herstellt. Bald werden seine Möbel auch international gezeigt, etwa an der Triennale di Milano oder an der internationalen Bauausstellung in Berlin, beide 1957. Zudem darf er 1958 die Einrichtung der Salle Suisse im Unescohaus in Paris selber entwerfen. Ebenso wie der Sessel RH301 (die Hommage an Mies van der Rohe) werden die Unesco-Stühle unter dem Namen RH304 heute noch produziert.
Mit Humor und Ironie gegen die Dogmen der Moderne
Ab Beginn ihrer Zusammenarbeit suchten Trix und Robert Haussmann nach Wegen, ihre wachsenden Zweifel an den Dogmen der Moderne auszudrücken. So entstanden etwa der Neon-Stuhl und der Schokoladenstuhl, zwei Objekte, die den Stuhl an sich hinterfragen. «Ich sass damals in der Jury der „Guten Form“ des SWB. Es galt auszuwählen aus einer Riesenmenge meist hässlicher Dinge. Der Funktionalismus der Moderne wurde plötzlich durch eine Hardedge-Mode ersetzt. Selbst Sitzmöbel hatten kubisch zu sein – die Hinterteile der Menschen waren aber schon damals rund.», so Robert Haussmann an einem Gespräch im Oktober 2011. «Wir wollten uns über solche Dogmen lustig machen. Und wir haben unsere Lust ernst genommen, einen Kommentar zur guten Form zu machen. Wir wollten etwas nicht Funktionales machen, also Stühle, auf die man sich nicht setzen konnte.»
In ihrem Suchen nach neuen Wegen stiessen sie, die beide immer an der Kunstgeschichte interessiert waren, auf den Manierismus und den Illusionismus. Neben der Auseinandersetzung mit historischen Beispielen – als wichtigstes wohl Giulio Romanos Werk – verstanden sie Manierismus aber nicht nur als Epoche, sondern auch als Strömung in der Kunst, die sich gegen eine erstarrte Klassik oder Klassizität wendet. Ab 1977 entstand bis etwa 1982 die Serie der Lehrstücke. In Werk, Bauen + Wohnen 10|1981 erklärte Robert Haussmann: «Die Form von (Denk-) Modellen wählten wir deshalb, weil wir den vielen verbalen Manifesten nicht noch ein weiteres hinzufügen mochten: Es ging darum, gestalterische Probleme mit Mitteln der Gestaltung selbst dazustellen, das Modellobjekt, frei noch von Massstäblichkeit und Zweck, eignet sich dafür besonders gut.» Lehrstück I ist «Möbel als Architekturzitat», das den Brücken-Schreibtisch, die Mauer-Kommode, die Tempel-Tische oder den Säulen-Schrank umfasste. Lehrstück II: «Störung der Form durch die Funktion», das ein Objekt in Form eines antiken Säulenstumpfs als Kommode mit ausdrehbaren Schubladen ergibt. Das Lehrstück III hiess «Störung der Form durch das Ornament» und ist ein Tisch mit illusionistischen Holzintarsien, die über eine tragende Ecke laufen. Sehr eindrücklich ist «Seven Codes», das vierte Lehrstück: Ein verspiegelter Schrank, dessen obere linke Ecke von einem geknoteten Tuch verdeckt wird. Dieses liegt in Form einer raffinierten und sehr kunstvollen Holzintarsie auf der selben Ebene wie die Spiegel. Dass ein System zum Entwerfen nur bedingt funktioniert und bei der Überlagerung von Lehrsätzen an einem Objekt zu widersprüchlichen Aussagen führen kann, war den Haussmanns bewusst, und so hat die Theorie zu den Lehrstücken, die sie den kritischen Manierismus nannten, auch einen augenzwinkernden Unterton.
International statt schweizerisch
Während es in der Schweiz wenig Widerhall auf Trix und Robert Haussmanns Bemühungen gab, stiessen sie mit ihren Arbeiten auf reges Interesse in Italien, Amerika, Frankreich, Österreich oder Japan. Dass die Entwicklung der Lehrstücke neben der Brotarbeit lief, gab ihnen wohl die notwendige Unbeschwertheit, auch Zielsicherheit. Einigen Projekten merkt man aber eindeutig an, dass gewisse Bauherrschaften durchaus Lust hatten, neue Wege zu beschreiten. Ein Beispiel dafür ist die leider nicht mehr existente Boutique Lanvin (Einbau 1978) im Hotel Savoy. Die Ladenfront wurde von einer illusionistischen Bleiverglasung gebildet, die einen rosaweissen geknoteten Vorhang darstellte. Innen schien der würfelförmige Raum vom Boden über die Wände mitsamt Regalen und der kassettierten Decke aus Marmor zu sein; dabei war es lediglich der Boden, Wände und Decke gaben dies nur vor. Hier kommt die Bewunderung, aber auch die Verwandtschaft mit Adolf Loos zum Ausdruck. Ein kleiner Raum wird perfekt eingerichtet und dabei durch den Einsatz eines Materials und einer ausgeklügelten Anlage in eine komplexe Räumlichkeit überführt. Ebenfalls eine Referenz an Loos’ Wettbewerbsprojekt für die Chicago Tribune scheint eine Zeichnung von 1977 zu sein, die die Säulenstumpf-Kommode als Hochhaus darstellt – das Bauteil als Architektur, das Modell als Möglichkeit, das Formale als Statussymbol, das Klassische als das Staatstragende. Aber die Haussmann-Zeichnung ist kein Projekt – ceci n’est pas une maison – sondern sie unterwandert mit der Plazierung der Kommode als Säule als Hochhaus die simple Lesbarkeit dieser Figur.
Die Breite von Haussmanns Schaffen umfasst auch viele Experimente, und das oben beschriebene Ernst Nehmen der Lust, einer Idee nachzugehen, ist wohl eine der wichtigen Triebfedern der unkonventionellen Projekte des Paares. So entwickelten sie Anfang der Achtzigerjahre einen Begriffsschieber, der mit Hilfe dessen sich 100 Begriffe zu 10’000 Begriffspaaren kombinieren lassen und auf diese Weise der Experimentierlust auf die Sprünge geholfen werden kann. Dieses Jahr haben sich zwei Kunstgeschichtsstudenten dafür interessiert und eine Aufnahme mit zufälligen Begriffen in vier Sprachen gemacht. «Wir hatten Spass am freien Spiel mit Begriffen, Wörtern und Dingen. So hatten wir uns das bei den Dadaisten vorgestellt: Das Spiel mit dem Zufall war eine Inspirationsquelle, die nie versiegte, und nicht alles war gar so ernst und theoretisch wie manche unserer Vorbilder das sahen», erläutert Robert Haussmann.
Dass Trix und Robert Haussmann bis heute oft in den formalen Topf der Postmoderne geworfen werden, wird ihrem spielerischen und ideenreichen Arbeiten zu wenig gerecht. Zumal sicherlich die kritische Rezeption der architektonischen Postmoderne in einigen Jahren mit mehr Distanz geschehen kann. Heute wird Architektur in der Schweiz als eher theorielose Disziplin betrieben – das hatte die Haussmanns an den Sechzigern gestört – und dazu wird in der überhitzten Baukonjunktur wieder so schnell und so viel gebaut wie damals, so dass einige Fragen aus jener Zeit wieder aktuell erscheinen.
Vielleicht
Vieles fiel mir leicht zu
zu viel vielleicht.
(Robert Haussmann, in: Verlorene Eier? Ein gefundenes Fressen, Weissweinreime und Sprachspiele, 2006)