Themenheft Hochparterre 04/2022 "Baustelle Klimaschutz"
Alle Aspekte im Blick
Erneuern oder ersetzen? Im Fall von zwei unspektakulären Wohnhäusern in Zürich Nord prüfte Pensimo Management diese Frage genau.
Hinter dem Zürcher Käferberg folgt das Quartier Neuaffoltern. Seine Bebauung stammt mehrheitlich aus den Fünfzigerjahren. Hier bildet die Anton-Higi-Strasse eine kleine Stichstrasse, benannt nach dem Architekten Anton Higi, der von 1938 bis 1946 im Stadtrat sass. Im Quartier weisen die meisten Häuser zwei bis drei Obergeschosse auf und sind Zeilenbauten mit viel grünem Abstand.
Hier prüfte Pensimo zwei Häuser, die der Anlagestiftung Turidomus gehören, auf Herz und Nieren – besser gesagt, auf CO2-Ausstoss und Energiebilanz: Zweigeschossige Zeilenbauten, 1953 erstellt, ohne ausgebautes Dach, belegt mit je acht Wohnungen. Eine Studie der Firma Planzeit förderte auf der Parzelle nach geltender Bau- und Zonenordnung eine Ausnützungsreserve von 30 bis 50 Prozent zu tage. Zusätzlich prüfte die Firma Durable, wie sich verschiedene Möglichkeiten der Erneuerung auf die Energiebilanz in den nächsten 30 Jahren auswirken würden: Abriss und Neubau, zehn Jahre Weiterbetrieb und danach Abriss und Neubau oder Gesamterneuerung. Man stellte für die Szenarien den CO2-Ausstoss und der Verbrauch fossiler Energien in Betrieb und für die Erstellung einander gegenüber. Dass man den Zeitfaktor sowie verschiedene Formen der Wärmeerzeugung einbezog, machte den Vergleich besonders aussagekräftig. Das Ergebnis: Als energetisch günstigste Variante pro Quadratmeter und Jahr gewann der Ersatzneubau. Zudem muss die Konstruktion nach 30 Jahren sowohl energetisch als auch finanziell noch nicht abgeschrieben werden.
Die grösste Ausnützung gewinnt
Zur Projektierung führte Pensimo einen Studienauftrag durch. Im Programm war das Netto Null-Ziel wichtig, ebenso einfache und nachhaltige Konstruktionen und knappe Wohnungsgrössen. Sechs Projekte wurden eingereicht, und vergleicht man ihre Energiebilanzen, wird deutlich, wie nahe sie alle beieinander liegen. Das ausgewählte Projekt von Chebbi Thomet Bucher Architektinnen schneidet nicht einmal am besten ab. Architektonisch stellt weder dieses noch die anderen Projekte das Thema Klima sichtbar in den Mittelpunkt. Den Zuschlag erhielt der Vorschlag mit der grössten Ausnutzung und den besten Wohnungen. Denn bei der Frage, ob es sich bezüglich CO2-Ausstoss lohnt neuzubauen, ist die hohe Ausnützung natürlich matchentscheidend. Und gute Wohnungen sind nachhaltig: Bleiben die Mieterinnen und Mieter lange in einem Haus, gewinnt sowohl die Hausgemeinschaft wie die Vermieterin.
Um städtebauliche Themen wie das Weiterdenken der Gartenstadt geht es im Jurybericht nicht, auch wenig um die Anmutung des Gebäudes. Ist es ein gross? Modernisiert es die Form des abgetreppten Siebzigerjahreblocks?, Ist das Volument ausufernd oder diszipliniert? Jene Vorschläge, die sich am offensichtlichsten um solche Fragen bemühten, erhielten dafür einmal Tadel – der Vorschlag Girasole von Käferstein Meister wolle zu viel und passe zu wenig – und einmal Lob im Fall des Entwurf Berberis von EMI Architekt*Innen, doch für den Zuschlag reichte es nicht.
Rechnen, vergleichen, lernen
Das Testen ging beim Vorprojekt weiter: Pensimo prüfte alle Parameter, die den Neubau dem Ziel Netto Null am nächsten bringen würden. Projektleiter Patrick Wildberger wollte das Maximum an CO2-Reduktion herausholen – herausfordernd für alle Beteiligten. Mit Blick darauf wurden Materialien und Bauteile verglichen, etwa Recyclingbeton und Zement mit Recyclingzuschlägen unter Einbezug der statischen Belastbarkeiten. Die Architektinnen lernten viel über die Feinheiten von Primärenergie, CO2-Bilanzen und Lebenszyklus möglicher Konstruktionssysteme erzählt Karin Bucher, die das Projekt bei Chebbi Thomet Bucher leitet: Zum Beispiel bei der Analyse zwischen Holzbau und Hybridbau und bei der Auswahl des Holzes – einheimisch oder nicht – oder bei der Berechnung der Querschnitte. Zusätzlich den für gewöhnlich verlangten Erstellungskosten hatte das Planungsteam auch die Lebenszykluskosten, die CO2- und Primärenergiebilanz sowie die Energiekosten pro Jahr zu berechnen. Unter den Varianten, die je einen dieser Aspekte favorisierten, war jene mit den tiefsten Erstellungskosten zwar vier Prozent günstiger als ausgewählte, diese stösst aber einen Viertel weniger CO2 aus. Der Verbrauch bei der Primärenergie liegt sogar um satte 70 Prozent tiefer als bei der günstigsten Variante! Würde der Zyklus über 45 Jahre betrachtet, käme man praktisch auf Null in der Bilanz. Der Paradigmenwechsel: Die Erstellungskosten müssen zusammen mit den Lebenszykluskosten und den Energiekosten betrachtet werden – genauso wie beim Energieverbrauch nicht nur der Betrieb, sondern die Gesamtbilanz mit Erstellung und Abbruch über 30 Jahre entscheidend ist.
Es sei wichtig, sagt Patrick Wildberger, die ganze Rechnerei als quantitative Grundlage der qualitativen Entscheide zu verstehen. Diese lassen sich nicht tabellarisch abbilden, sondern fallen bei der Projektierung, in der Zusammenarbeit von Planungsteam, Bewirtschaftungs- und Entwicklungsabteilung der Pensimo. Dass man zum Beispiel eine Holzfassade anderen, günstigeren Varianten wie einem Einsteinmauerwerk vorzog, beruhte auf vielen Aspekten – auf architektonischen, sozialen und wirtschaftlichen ebenso wie auf ökologischen.
Mit ihrem Anspruch als lernende Organisation schafft Pensimo laufend neue Erkenntnisse für sich selbst. Da lohnt sich auch ein aufwändiger und offener Prozess, weil er im besten Fall dem ganzen Portfolio und dessen CO2-Absenkpfad nützt. Das Fundament dafür bildet der langfristige Horizont – wenn Liegenschaften nicht verkauft, sondern bis ans Ende des Nutzungszyklus gebraucht werden. Und künftig treten danach die Bauteile und Materialien womöglich in den nächsten Kreislauf ein.